La Sécurité Routière

Unterwegs mit Paul Hammelmann – ein Beifahrer im Interview

Auf Luxemburgs Strassen geht es nicht immer ganz geordnet zu. Wir sind mit dem Präsidenten der Sécurité Routière etwas durchs Land gefahren.

Die Voraussetzungen für diesen Trip sind zugegebener Maßen nicht ganz optimal. Der Fahrer (und Autor dieses Textes) kennt sich auf Luxemburgs Straßen jenseits der Autobahnen nur mittelmäßigaus, und der Beifahrer hat, wie er zu Beginn der Fahrt lachend einräumt, keinen besonders ausgeprägten Orientierungssinn.

Wenigstens aber das Ziel dieser Mission ist weitestgehend klar definiert. Wir wollen gemeinsam ein wenig durch Luxemburg fahren und dabei Verkehrsbereiche ansteuern, die aus unserer Sicht entweder gefährlich oder aber zumindest nicht eindeutig geregelt sind. Und für diesen Fall ist Paul Hammelmann trotz Orientierungsschwäche der richtige Mann auf dem Beifahrersitz. Der Jurist im Ruhestand ist Präsident der Sécurité Routière, ist im Bereich Verkehrssicherheit also Experte.
Die gemeinsame Fahrt startet an einem Donnerstagmorgen in Bartringen, vor Hammelmanns Haus. Und nach wenigen Minuten taucht in der Route de Longwy bereits die erste Frage auf. Vor uns steht einBus an der Haltestelle. Die Frage an den Beifahrer Paul Hammelmann:
Wie ist das? Dürfen wir an demBus vorbeifahren?
„Es ist nicht verboten, zu überholen. Wir hatten das mal angefragt aufgrund von Unfällen. Wir dürfen aber leider immer nur aktiv werden, wenn etwas geschieht. Bei schweren Unfällen fragt dann diePresse, was man hätte besser machen können oder ändern sollte. Dann ist die Bevölkerung oft dergleichen Meinung. Aber wenn man dann ein paar Tage später wieder selbst hinter einem Bus warten muss, sieht man das wieder anders.“

 

Wir ziehen also am Bus vorbei, folgen der Straße weiter in Richtung Autobahn, fahren dann zunächstauf die A6 bis zum Cessinger Kreuz und dort dann auf die A4 Richtung Esch. Der mächtige Kreisel in Belval steht auf unserer Liste. Da wollen wir jetzt hin. Eine große Tafel am rechten Fahrbahnrand, die vor den Konsequenzen von Raserei warnt, drängt sich beim Vorbeifahren in unser Sichtfeld, verschwindet dann im Rückspiegel. Für das Motiv auf dieser Tafel verantwortlich ist die Sécurité Routière.
„Das sind in Luxemburg die einzigen Plakatwände entlang der Straßen, die erlaubt sind und die wir belegen dürfen. Es reicht ja nicht nur, Gesetze zu ändern. Man muss auch Prävention betreiben, um Unfälle zu reduzieren. Die Straße sollte ja kein rechtsfreier Raum sein.“
Apropos rechtsfreier Raum: Wir erreichen Belval, verlassen die neue Autobahnabfahrt und steuern dann den Kreisel an, an dem einst die Autobahn endete. Seitdem der Verkehr zum Uni-Campus aufgrund der neuen Verkehrsführung nicht mehr durch diesen Kreisverkehr geschleust werden muss, geht es dort etwas ruhiger zu. Aber unübersichtlich ist die dreispurige Verkehrsanlage nach wie vor.
Wann fährt man im Kreisel auf welcher Spur?
„Eigentlich fährt man nach Gefühl. Man darf immer rechts bleiben, aber das ärgert natürlich die anderen. Es gibt hier drei Spuren im Kreisel, aber man weiß eigentlich nicht, welche man nehmen soll.“
Wir verlassen den Kreisel mit wenig Erkenntnisgewinn und fahren wieder auf die A4. Mit demTempomat auf 130 geht es vorbei an einigen Abfahrten.
„An sich darf man selbst auch in den Abfahrten mit 130 fahren, bis das erste Schild kommt. Ich denke aber, dass man damit im Fall eines Unfalls bei Gericht nicht durchkäme. Ich würde es aber begrüßen, wenn man vor allem bei sehr engen Abfahrten schon ganz am Anfang die erlaubte Geschwindigkeit heruntersetzen würde – nicht, um die Leute zu kontrollieren oder zu bestrafen, sondern einfach nur, um auf die Gefahr hinzuweisen.“
Und wo wir gerade bei den Abfahrten sind:
Was gilt, wenn die Spur für die Abfahrt auch gleichzeitig die Spur für die Auffahrt ist?
„Derjenige, der auffährt, darf theoretisch bis zum Ende der Auffahrt fahren und sich dann einfädeln. Aber idealerweise wird das natürlich nicht kombiniert. Das Problem ist aber auch, dass unser Land zu klein ist, wir oft gar nicht den Platz haben.“

Luxemburgs Autobahnabfahrten fehlt es oft an der frühzeitigen Beschilderung für eine Reduzierung der Geschwindigkeit.

Wir fahren Richtung Brüssel, erneut über das Cessinger Kreuz.
„Ich kritisiere oft die Straßenbauverwaltung, muss aber sagen, sie geben sich sehr viel Mühe. Das ist schon mitunter ein komplexes Problem, und sie sind sich auch ganz oft der Unzugänglichkeiten bewusst. Nehmen wir zum Beispiel die Nordstraße, da gilt noch immer 110. Die Lokalpolitiker im Norden wollen das gerne so beibehalten – obwohl das nur eine Nationalstraße ist und keine Schnellstraße. Die Straße ist schön breit, aber eben nur eine Nationalstraße. Deswegen müsste da eigentlich 90 sein. Bei Echternach hatten wir das Problem auch: Da war mal Tempo 110, dann war 90, dann mal 70. Ich habe dazu mal in einem Interview gesagt, wie lächerlich das ist, und dann wurde das geändert. Es ist ja auch aus umwelttechnischen Gründen unsinnig, immer wieder zu beschleunigen, um dann wieder abzubremsen.“
Ob mein Beifahrer wohl der Meinung ist, dass in Luxemburg genug geblitzt wird?
„Ich sage immer: Die Polizei ist wie die Jungfrau Maria. Wenn sie nicht hin und wieder erscheint, stellt man sie infrage. Die Polizei soll Präsenz zeigen. Jeder möchte inzwischen Radaranlagen – nur nicht bei sich selbst.“
Wir stellen beide fest, dass der Verkehr auf unserer Strecke bislang recht zivilisiert war …
„Ich glaube, wir haben einen schlechten Tag ausgesucht (lacht).“
Der Weg auf der A6 führt vorbei am Rasthof Capellen Nord und kurz vor der Abfahrt Steinfort unter einer digitalen Beschilderung hindurch.
„Diese Schilder haben Unmengen an Geld gekostet. Das hat der Robert Goebbels (ehemaligerTransport- und Energieminister, Anm. d. Red.) damals noch durchgehauen, aber man ist in der Nutzung sehr eingeschränkt. Anfangs war dort als Anzeige noch nicht einmal die Tempoangabe 110 möglich, weil die Anzeige nur für zwei Ziffern vorgesehen war. Später haben sie das geändert durch andere Anzeigen.“

Bei der digitalen Beschilderung wurde zwischenzeitlich nachgebessert.

Wir nehmen die Ausfahrt Steinfort in Richtung Windhof, fahren dort dann in die Route d’Arlon. Nach einigen Metern führt der Weg vorbei an Begrenzungspfosten.
„Im Code de la Route gibt es diese Pfosten gar nicht. Die sind aber gar nicht schlecht. Das Problem beiden ganzen Regeln ist, dass sie der Technik immer hinterherhinken. Beim autonomen Fahren zum
Beispiel hat die Juristerei noch immer keine Lösung: Im Moment ist ja immer noch der Fahrer, der Hüter des Fahrzeugs, der zivilrechtlich belangt werden kann. Wenn aber erst einmal der Algorithmus fährt, stellt sich die Frage, wer verantwortlich ist:  Derjenige, der programmiert hat oder derjenige, der die Hardware konzipiert hat?“
Soweit sind wir noch nicht. Am Steuer sitzt kein Algorithmus, sondern ein Fahrer, der auf Anweisung des Beifahrers von Windhof nach Capellen und dort zunächst weiter auf der Route d’Arlon über einen Fußgängerstreifen fährt. Knapp 100 Meter weiter folgt der nächste Fußgängerstreifen, dieses Mal allerdings ohne die erforderliche Beschilderung.
„Fußgänger sind auch so ein Problem. Hier muss ein Fußgängerüberweg sein, wir sind ja innerorts, aber der zweite hier ist zu nah an dem anderen. Fußgängerstreifen sollten immer die absolute Ausnahme sein. Und hier fehlen auch die Schilder – wahrscheinlich ist es nur ein Provisorium.  Es gab irgendwann eine wahre Inflation an Fußgängerstreifen. Auch auf Nationalstraßen, wo Tempo 90 gilt. Wie zum Beispiel auf der Umgehungsstraße von Bertrange. Wir haben uns dazu nur einmal in der Presse geäußert, und schon war er weg. Das war auch gut so. Denn damit rechnet ja an so einer Stelle auch kein Autofahrer.“

Wir fahren durch den Wohnort des ehemaligen Premierministers und Präsidenten der Europäischen Kommission.
„Hier ist es komischerweise nicht verkehrsberuhigt, obwohl der Juncker hier wohnt (grinst). Hier irgendwo rechts muss es sein, ist ganz düster dort.“
Die Tour führt weiter in Richtung Bartringen, durch einen weiteren Kreisel im Ort. Es gibt zwei Spuren im Kreisel, die äußere ist normal, die innere ist durch eine Art Bordstein erhöht – so noch nicht gesehen. Auch Paul Hammelmann ist irritiert.
„Ist das ein Trottoir?“

 

 

Wir fahren noch einmal rum, suchen nach einer Erklärung.
„Es verhält sich so, als ob es eine zweite Spur wäre. Aber es ist keine. Das ist ja auch kein Fußgängersteig. Aber wer geht schon im Kreisel spazieren?“
Wir sind ratlos – und ziehen weiter Richtung Bartringen.
„Der größte Kreisel ist ja in Paris an der Champs Élysées der Place de l’Etoile. Also ich fahre den gerne. Es staut, aber es ist organisiertes Chaos. Das ist klassischer Shared Space und hat bis jetzt immer funktioniert. Das Prinzip lautet: Unsicherheit kreiert Sicherheit, weil man zwischenmenschlich mit Blickkontakt agiert.“
In Bartringen führt der Weg ebenfalls in einen sogenannten Shared Space, erst in eine 30er-, dann in eine 20er-Zone, vorbei an der Kirche.
„An sich ist das Konzept, dass es keine Schilder gibt und nur die Straße mir sagt, wie ich mich verhalten soll. Die einzige Regel: Rechts hat Vorfahrt.“
Der Shared Space in Bartringen ist ein besonderer Bereich, der weitgehend ohne Beschilderung auskommt.

 

Es geht auf die Rue de Mamer Richtung Norden über einen Bahnübergang.
„Der Bahnübergang ist ganz oft kaputt und dann staut sich der Verkehr. Die Schranke macht Probleme. Es gab die Überlegung, hier eine Unterführung zu machen, doch die ehemalige Bürgermeisterin war dagegen, weil das das Dorf geteilt hätte.“

Und wieder geht es auf die Route d’Arlon Richtung Luxemburg-Stadt, Nächstes Ziel: Stäreplaz.
„Das Problem dort ist unter anderem auch die Tram. Die muss sich auch an Ampeln halten. Aber wenn keine da sind, stellt sich die Frage: Wer hat Vorfahrt? Und wenn die Ampeln nicht funktionieren, bloß nicht auf die Schienen fahren. Ich bin früher auch viel Boot gefahren. Und auch da gilt rechts vor links. Ein Öltanker etwa braucht einige Kilometer bis zum Stillstand. Dem lässt man besser die Vorfahrt (lacht).“
Durch den Kreisel bei der Belle Étoile, der ebenfalls einige Schwächen offenbart, weiter zumStadtzentrum, einmal eine Runde hoch zum Glacis und dann von dort wieder runter zum Stäreplaz.
„Ja, ist schon alles sehr unübersichtlich. Hier weiß man nicht, wie man sich richtig einordnen soll. AlsTourist ist man überfordert. Selbst wenn man weiß, wohin man möchte, sieht man nicht wirklich, wieman sich einordnen soll. Hier fehlen Schilder.“

Wir fahren wieder hoch zum Glacis und dann über die Rout Bréck nach Kirchberg.
„Hier ist 50, aber an sich könnte man hier auch schon 70 fahren. Denn die Radfahrer und Fußgängersind geschützt. Also, die Radfahrspur in Kirchberg ist ohnehin perfekt. Das muss man schon sagen.“
Für Radfahrer ist im Bankenviertel viel Platz.

 

 

Über die Avenue John F. Kennedy führt der Weg durch das Bankenviertel zu unserer nächsten Aufgabe.
„Da kommt er, der Turbo-Kreisel. Ja, wenn man sich an alles hält, kann es klappen. Wie man hier im Kreisel fahren soll, weiß man nicht. Hier fehlen zusätzliche Zeichnungen. Man muss sich wundern, aberes funktioniert.“
Der Turbo-Kreisel in Kirchberg überfordert so manchen Autofahrer.

 

 

Auf die A1 Richtung Trier. Den noch größeren Kreisel am südwestlichen Zipfel des Flughafens sparen wir uns, fahren stattdessen auf die A7 in Richtung Ettelbrück und dann vor dem ersten Tunnel auf dieE29 in Richtung Echternach.
„Die ganze Echternacher Strecke ist an sich eine unfallträchtige Straße.  Sie ist über lange Strecken gerade, verleitet trotz Gegenverkehr zum Überholen.“
Wir erreichen die Aral-Tankstelle vor Junglinster, wo wir wenden. Die Ein- und Ausfahrt liegengewissermaßen über Kreuz. Wir müssen nach links abbiegen. Eine kleine Herausforderung.

„Meines Erachtens dürfte man hier von der Tankstelle aus gar nicht links abbiegen. Die Sicht ist schlecht und der Verkehr intensiv. Man müsste eigentlich rechts fahren und dann an dem Kreisel beider Umgehung von Junglinster drehen. Das ist aus meiner Sicht die gefährlichste Stelle, die wir heute gesehen haben.“
Es dauert eine Weile, bis sich eine Lücke ergibt. Wir fahren zurück Richtung Luxemburg. Direkt hinte rder Tankstelle wird es zweispurig. Morgens im Berufsverkehr stauen sich hier die Fahrzeuge auf der rechten Spur, während links Autofahrer einfach vorbeiziehen.
Ist das fair und richtig, dass sie einfach den Stau links überholen?
„Es ist schon sinnvoll, bei Stau auch die linke Spur zu nutzen, weil es den Stau reduziert. Man weiß natürlich, wenn man links vorbeizieht, dass die sich rechts im Stau darüber ärgern. Früher war das gar nicht erlaubt, dran vorbeizufahren. Dann aber kam die Erkenntnis, auch bei den Gesetzgebern, dass es für weniger Stau sorgt, wenn man beide Spuren nutzt. Das ist inzwischen durchgedrungen, allerdings nicht zu jedem Autofahrer.“
Wir fahren wieder zurück nach Bartringen, passieren kurze Zeit später das Kreuz Gasperich, wo sich morgens bei der Abfahrt Richtung Stadt der Verkehr auf der rechten Fahrspur und dem Standstreifen staut.
„Wenn sich da die Fahrzeuge bis auf die Autobahn stauen, da weiß ich auch nicht, wie das juristisch geklärt ist. An sich darf man auf der Autobahn nicht stehen und müsste eigentlich dran vorbeifahren, wenn der Verkehr steht. Wenn dort ein Unfall passiert und es nicht weitergeht, dann ist das natürlich höhere Gewalt. Aber ansonsten müsste man da eigentlich vorbeifahren, auch wenn man abbiegen möchte. Es könnte bei einem Unfall eine geteilte Schuld sein, also nicht nur ausschließlich derjenige schuld sein, der auffährt.“
Wir schaffen es unfallfrei, erreichen schließlich wieder Bartringen, wo der Beifahrer kurz vor derAnkunft zuhause, die vergangenen Stunden auf Luxemburgs Straßen resümiert.
„Es ist nicht immer alles logisch. Aber man braucht einfach bestimmte Regeln. Denn sonst funktioniertdas ganze System nicht.“

Dieser Artikel wurde zuerst im „Télécran“ veröffentlicht (Ausgabe 26/2025).

Photos Christophe Olinger